Von Oberst Dominik Knill, Präsident SOG. Erschienen in der ASMZ-Ausgabe 12 2022.
Will man in der Schweiz etwas verändern, stösst man oft auf Widerstand. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass eine der folgenden Aussagen genannt werden: a) das haben wir schon immer so gemacht, b) das haben wir noch nie so gemacht, c) da könnte ja jeder/jede kommen und d) gute Idee, aber nicht jetzt. Getreu dem Motto: «Leg dich quer, so bist du wer».
Die obige Parodie auf unser typisch schweizerisches Change-Management ist sicherlich übertrieben. Sie wird meistens zitiert, wenn sich der Wechsel nicht schnell genug einstellt bzw. Veränderungen mit viel Aufwand verbunden sind. Das «Gäng-wie-gäng» verspricht Kontinuität bei überschaubaren Kosten.
Die Armee ist davon nicht ausgeschlossen. Mit den oft komplizierten und zeitaufwendigen Beschaffungsprozessen kann die Armee nicht rasch genug modernisiert werden. Obwohl immer wieder Anstrengungen gemacht werden, Helvetisierungen zu vermeiden, leisten wir uns diesen Luxus teilweise immer noch. Es ist ein schwacher Trost, wenn unsere durchschnittliche Beschaffungsdauer bei «lediglich» 7 bis 12 Jahren liegt, während sie in Europa ca. 15 Jahre beträgt. Hier sind zwingend Reformen notwendig, die eine verbindliche Finanzierung mit schlanker Planung und Beschaffung garantieren. Es gibt wohl kaum eine Armee, die von sich behauptet, über genügend Budgets zu verfügen, vollständig ausgerüstet und genügend alimentiert zu sein. Umso mehr müssen wir mit den vorhandenen finanziellen Mitteln haushälterisch umgehen. Über eine fähigkeitsorientierte Weiterentwicklung soll die Armee rasch modernisiert werden. Mit einer rollenden modularen Beschaffung, mit fähigkeitsbasierten Armeebotschaften über mehrere Legislaturen verteilt, kann dem Technologiefortschritt besser Rechnung getragen werden.
Das VBS ist einem Sicherheitsparadox ausgesetzt. Es wird zurückhaltend in eine Sicherheitsversicherung Armee investiert, in der Hoffnung, sie nicht in den Krieg führen zu müssen. Wir befürchten, dass sie nur bedingt einsatzfähig und ungenügend ausgerüstet ist, mit Material, das wieder teuer entsorgt werden muss. Die Armee muss sich dafür laufend rechtfertigen. Während den letzten 30 Jahren, mit einem trügerischen Frieden in Europa und der sogenannten Friedensdividende, verkam das Verteidigungsbudget zunehmend zum immer kleiner werdenden Spielball der Bundesfinanzen. Jetzt brauchen wir Stabilität.
Im Hinblick auf den Ukrainekrieg ist eine wohlstandsverwöhnte, postheroische Gesellschaft mit rundum Sorglospaket plötzlich aufgewacht und nun ratlos, verunsichert und verängstigt. Wirtschaft und Armee sollen es raschmöglichst wieder richten. Wenn nur nicht die drei Flaschenhälse wären: Da sind die vom Parlament zu bewilligenden Finanzen (1 % vom BIP) ab 2030, genügend und gut ausgebildete Angehörige der Armee und eine Rüstungsindustrie, die liefern kann. Letztere verkam zunehmend zum Schwarzen Peter im Spiel mit der Friedensdividende. Und plötzlich ist auch Rüstungs- beziehungsweise Kriegsmaterial kein Schimpfwort mehr. Die Debatte darüber, ob wegen Munitionslieferungen über Deutschland in die Ukraine, das bewährte Kriegsmaterialgesetz (KMG) dem Notrecht geopfert werden soll, kratzt am Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. Neutralität heisst nicht gleichgültig und unbeteiligt zu sein. Nutzen wir die gesetzlichen Möglichkeiten, um inmitten der Staatengemeinschaft weiterhin ein berechenbarer, glaub- und vertrauenswürdiger Partner zu sein. Nachtrag: Es ist unehrlich, wenn die Politik von Soldatinnen und Soldaten verlangt, die Taschenmunition zurück zu geben und gleichzeitig dieselbe Politik fordert, Munition in die Ukraine zu liefern.
Das Jahr 2022 war nicht normal. Die Pandemie übergab die Krise quasi nahtlos dem Krieg in der Ukraine weiter und im Schlepptau stolperte unsere Neutralität in eine Deutungs- und Glaubwürdigkeitskrise. Der Psychoanalytiker C. G. Jung sagte es treffend: «Fürchte das Chaos nicht, im Chaos wird Neues geboren». Grund zur Hoffnung, dass uns in Zukunft ein starkes und glaubwürdiges Krisen- und Führungsmanagement zur Verfügung steht.
Ein schwacher Trost, wenn die Welt im gefühlten Chaos zu versinken droht. Kriege, Konflikte, Pandemien, Migration und das Klima testen unsere Resilienz gewaltig. Staaten mit ihren Zivilgesellschaften sind einem harten Stresstest ausgesetzt. Der Mensch ist Meister im Aussitzen, Prokrastinieren, den «Kopf-in-den-Sand-stecken». Wir stehen zu unserer liberalen regelbasierten Sicherheitsordnung. Eine konsequente Nichtbeachtung und Verletzung unserer demokratischen Werte kämen uns nicht nur sehr teuer zu stehen, sondern wären für das Völkerrecht und die Menschenrechte eine grosse Katastrophe.
Auf dem Weg zur besten Armee kommt die Schweiz nicht um eine Triple-A-Armee herum: modern ausgerüstet, ausreichend alimentiert und hervorragend ausgebildet. Denn die Lehren aus dem Ukrainekrieg bestätigen: Man kämpft mit dem was man hat, nicht mit dem was man sich wünscht und Verteidigung lohnt sich in jedem Fall, auch wenn die Lage aussichtslos erscheint. Seien wir stolz auf unsere Armee und tragen wir zu ihr Sorge. Sie ist besser, als sie von armeefeindlichen – und gelegentlich auch von armeefreundlichen – Kreisen schlecht geredet wird.
Möge im neuen Jahr die Friedenstaube den Weg in die Ukraine finden. Mögen unsere Zivilgesellschaften all ihre Energie in den Erhalt unseres einzigartigen Planeten setzen, anstatt ihn nach und nach zu zerstören.