Von Oberst Dominik Knill, Präsident SOG. Erschienen in der ASMZ-Ausgabe 06 2022.
Die Neutralität der Schweiz ist international anerkannt. Allerdingst stellt der Krieg in der Ukraine die bestehende internationale und vor allem europäische Sicherheitsordnung infrage. Angesichts des russischen Angriffskriegs ist die Versuchung in gewissen politischen Kreisen gross, sich zu Waffenlieferungen an die Ukraine hinreissen zu lassen. Übereifer und Hektik sind gerade in der aktuellen Situation fehl am Platz. Die Schweizer Neutralitätspolitik ist dynamisch und ermöglicht bereits heute einen Handlungsspielraum.
Franz Kafka bezieht sich auf seine Wahrnehmung der kalten Aussenwelt. In der wohlig warmen und geschützten Komfortzone lässt sich die harte Realität einfacher verdrängen. In der heutigen Zeit sind es die verstörenden Bilder und Nachrichten eines zerstörenden Kriegs, die uns aufschrecken. Leise beschleicht uns die Angst, auch zu den Verlierern zu gehören. Nicht, dass uns Land und Leben genommen werden könnten, sondern Wohlstand und Hedonismus. Europa ist in der Defensive und ratlos, wenn auch nicht tatenlos. Unsere Solidarität ist eine Ersatzhandlung, um auszuhalten, dass Europa dieser Aggression nur wenig entgegenzuhalten vermag. Wir tun uns schwer, unsere Werte und Errungenschaften selber zu verteidigen. Wir delegieren: Kämpfen sollen andere, Fliegen sollen Drohnen. Die Verteidigung von Freiheit in Unabhängigkeit: Ja, aber bitte nicht auf dem eigenen Territorium. Geld spenden: Ja; Sanktionen übernehmen: Ja; selber den Kopf hinhalten: besser nicht.
Der Krieg in der Ukraine verkommt zusehends zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA, mit den europäischen Nato-Mitgliedern im Schlepptau. Die Ukraine leistet heroische Gegenwehr und bezahlt einen sehr hohen Preis für die Zerstörung von Infrastrukturen und kulturellem Erbe sowie den Exodus ganzer, oft sehr gut ausgebildeter, Bevölkerungsgruppen. Ein Kompromiss mit Russland durch Präsident Selenski – in welcher Form auch immer – würde von pro-westlichen Interessensvertretern kaum akzeptiert und abgelehnt. Die Ukraine als souveräner Staat ist zum Kämpfen verdammt – und so ist es Russland. Keiner der beiden Kriegsparteien kann es sich erlauben, Schwäche zu zeigen und so das Gesicht zu verlieren. Der Konflikt ist nicht reif. Eine, für beide Seiten gleichermassen schmerzhafte Pattsituation[1], besteht noch nicht. Die Chancen auf Verhandlungen, bzw. Vermittlungen stehen schlecht, solange beide Seiten an ihren Extremforderungen festhalten.
Wieviel Spagat verträgt unsere bewaffnete Neutralität in der neuen Sicherheitsunordnung? Diskutieren wir über eine Differenzierung, wie etwa «Neutralität Europa», «Neutralität Rest der Welt» oder noch unverständlicher, «Neutralität von Fall zu Fall»? Neutralität und Unparteilichkeit sind zu unterscheiden. Das erste bezieht sich auf Beziehungen, das zweite auf unser Handeln.
Ein durchaus realistisches Szenario, dass nach den Friedensverhandlungen die UNO Truppen für eine Überwachung des Friedensabkommens stellen könnte. Einsätze im Rahmen der militärischen Friedensförderung haben für die neutrale Schweiz eine lange Tradition. Dies könnte in der Ukraine am russischen Veto scheitern. Für die Schweiz ebenfalls schwierig, wenn ihre Angebote von Guten Diensten aus neutralitätspolitischen Bedenken zurückgewiesen würden. Des Weiteren wird sich zeigen, wie lange das Schutzmachtmandat der Schweiz für Georgien und Russland noch Bestand haben wird.
Bei der Bewilligung von Waffenausfuhren begeben wir uns auf dünnes Eis. In der Vergangenheit hat sich unser Kriegsmaterialgesetz (KMG) bewährt und es wurde laufend angepasst. Zuletzt am 1. Mai 2022 als Folge der Korrekturinitiative. Lieferungen von Kriegsmaterial an demokratische und rechtsstaatliche Länder, bzw. die Weiterleitung bereits gelieferter Waffen/Munition an Drittländer, sollten grundsätzlich erlaubt sein, wenn Demokratie und Freiheit gefährdet seien. Das sind die Forderungen linker und gemässigter Politiker*innen mit Blick auf Lieferungen in die Ukraine. Dies gilt es sehr kritisch zu hinterfragen und im Zweifelsfall konsequent abzulehnen.
Soll etwa das Nato-Mitglied Türkei, mit einer etwas anderen Auffassung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, mit Schweizer Kriegsmaterial unterstützt werden, welches dann in Syrien gegen die Kurden oder in Libyen gegen Warlords eingesetzt wird? Das Post Shipment Verification (PSV) erlaubt es der Schweiz zu überprüfen, ob Rüstungsmaterial beim Kunden ankommt und nur mit Erlaubnis der Schweiz, exportiert werden darf. Bei Lieferungen über Drittstaaten in die Ukraine besteht die Gefahr der Proliferation, wenn Waffen und Munition illegal an verfeindete, kriminelle oder terroristische Organisationen weiterverkauft werden.
Die SOG unterstützt eine vertiefte Neutralitätsdebatte auf Stufe Bundesrat. Die Schweiz hat eine bewaffnete Neutralität. Waffenlieferungen, die nicht unter das Kriegsmaterialgesetz (KMG) fallen, sind grundsätzlich nicht zu bewilligen.
Die SOG unterstützt vollumfänglich den Entscheid der Politik, die Beschaffung der neuen Kampfflugzeuge F-35A nicht weiter zu verzögern. Es darf nicht sein, dass eine armeefeindliche Nichtregierungsorganisation die schweizerische Sicherheitspolitik vor sich hertreibt. Mit ihrem linken Bündnis schwächt sie bewusst die Verteidigungsbereitschaft unserer Milizarmee.
«Wenn wir uns überall einmischen wollen, wo himmelschreiendes Unrecht geschieht, dann riskieren wir den Dritten Weltkrieg.» – Helmut Schmidt
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[1] William Zartmann (2001): “The Timing of Peace Initiatives: Mutally Hurting Stalemates and Conflict Ripeness”