Die SOG nimmt Stellung

Von Oberst Dominik Knill, Präsident SOG. Erschienen in der ASMZ-Ausgabe 04 2022.

Die SOG verurteilt die eklatanten Verletzungen von Menschen- und Völkerrecht in der Ukraine klar und deutlich. Zwischenstaatliche Kriege gehören offensichtlich keineswegs der Vergangenheit an. Die Wichtigkeit von Sicherheit hat in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung wieder zugenommen. Diese Sicherheit gibt es aber nicht umsonst. Es ist höchste Zeit, die Militärausgaben wieder aufzustocken.

Die Ereignisse haben sich seit dem 24. Februar 2022 überschlagen. Das Selbstverständnis eines wohl geordneten Alltags und einer funktionierenden Versorgung wurde für viele Einwohnerinnen und Einwohner auf den Kopf gestellt. Die erneute Projektion von brutaler Gewalt an der Ostgrenze Europas erlebt das Wiederaufleben nationalistischer Machtpolitik. Die Wahrnehmung einer funktionierenden Sicherheitsordnung geriet ins Wanken. Der Umgang mit einer erratisch handelnden Atommacht verlangt grösste Vorsicht. Drohungen sind ernst zu nehmen, auch wenn sie höchst unvernünftig und kontraproduktiv erscheinen. Wenn Frieden ein labiler Zustand zwischen zwei Kriegen wäre, müssen wir alles daransetzen, eine Ausweitung der Kriegsgefahren zu verhindern.
Die SOG verurteilt die eklatanten Verletzungen von Menschen- und Völkerrecht durch die Kriegsparteien klar und deutlich. Die brutale Machtprojektion hat uns in die Realpolitik zurückgeholt. Zwischenstaatliche Kriege schienen – mit wenigen Ausnahmen – ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert zu sein, im Gegensatz zu innerstaatlichen Konflikten. Zeigt der Westen Schwäche im Umgang mit Aggressoren und akzeptiert geschaffene Tatsachen, stehen Nachahmer-Regime bereit. Doch was, wenn die Ukraine, als souveräner Nationalstaat, sich für eine Friedenslösung entscheidet, die die territoriale Integrität kompromittiert, ein Neutralitätsstatus mit Demilitarisierung bevorzugt und ein Nato-Moratorium akzeptiert? Wird der Westen diesen Entscheid akzeptieren (müssen)?
Die SOG verlangt einen sofortigen Waffenstillstand, die Bereitstellung humanitärer Hilfe und unverzügliche Friedensverhandlungen. Die Lage ist unübersichtlich, das Leid der Zivilbevölkerung in der Ukraine unsäglich gross und die Zerstörung der Infrastruktur massiv. Würde sich dieses aus dem Ruder gelaufene Ukraine-Szenario auf einem militärischen Simulator abspielen, man würde umgehend den Reset-Knopf drücken, den Kopf schütteln und die Software-Entwickler entlassen. Aussagen wie «das Undenkbare denken» und «erwarte das Unerwartete» waren bis vor Kurzem abgestumpfte Floskeln. Wir hätten es doch denken sollen. Das Zitat «Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin» ist eine zynische Moquerie von Pazifisten. Das Gedicht geht weiter: « – dann kommt der Krieg zu euch! Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und lässt andere kämpfen für seine Sache, der muss sich vorsehen: Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage.» Bertolt Brecht.

Wann ist gut, gut genug?
Wir haben eine gute und funktionierende Armee. Sie verdient es nicht, laufend schlecht geredet zu werden. Das Manko und die heutigen Mängel – vorweg bei der personellen Alimentierung und bei der vollständigen Ausrüstung – sind erkannt. Wir schulden es unseren Bürgerinnen und Bürgern in Uniform, dass sie gut ausgebildet in einer glaubwürdigen Armee Dienst leisten. Alles andere ist unehrlich und kontraproduktiv.
Sicherheit, Freiheit, Demokratie und Wohlstand sind kostbare Güter, deren Wert oftmals erst dann erkannt wird,  wenn  sie verloren sind. Die Armee wurde stark abgerüstet, das Verteidigungsbudget arg reduziert und die Wehrpflicht mit einer De-facto-Wahlfreiheit aufgeweicht. In der Gesellschaft fand die Herabstufung von Sicherheit und Armee ebenfalls ihren Niederschlag. In gewissen Kreisen gehört es mittlerweile zum guten Ton, sich nicht mit dem Thema Sicherheit zu beschäftigen, geschweige denn Militärdienst zu leisten. Stattdessen ist es opportun, sich für den Zivildienst zu entscheiden.

Beschaffungen – Alimentierung – Dienstpflichtmodelle
Die «Stop F35»-Initiative darf den Beschaffungsprozess nicht verzögern. Die SOG erwartet von der Politik Mut, Entschlossenheit und Vertrauen in die Bevölkerung. Den Kaufvertrag gilt es zügig zu unterschreiben. Konkret verlangt die SOG eine graduelle Erhöhung der Militärausgaben auf sieben Milliarden, ca. ein Prozent BIP, und in einem noch zu definierenden Zeithorizont eine Anhebung des Sollbestands auf 120 000 Soldatinnen und Soldaten. Wir holen lange Versäumtes nach. Wer dann gleich von Aufrüstung redet, verwehrt sich der Realität.
Die SOG begrüsst den Auftrag des Bundesrats an das VBS, zwei Dienstpflichtmodelle bis Ende 2024 prüfen zu lassen. Diese sind die Sicherheitsdienstpflicht und die bedarfsorientierte Dienstpflicht. Die SOG setzt sich dafür ein, den Frauenanteil kontinuierlich zu erhöhen, wenn möglich ohne Zwang. Mit einem obligatorischen Orientierungstag haben Frauen die gleichen Informationen über die Armee wie Männer.

«Unsere Armeen können nicht stark sein, wenn unsere Gesellschaften schwach sind. Unsere ersten Verteidigungslinien müssen starke Gesellschaften sein, die präventiv und nachhaltig handeln und sich wehren können; in welcher Situation auch immer.»
Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär, 7. Oktober 2020