Von Oberst i Gst Stefan Holenstein, Präsident SOG. Erschienen in der ASMZ-Ausgabe 09-2021.
Das Schweizer Dienstpflichtsystem baut auf dem Milizprinzip auf. Dieses gilt als zentrale Säule der Schweiz neben der direkten Demokratie, dem Föderalismus, der Neutralität und Konkordanz. Unsere Milizarmee trägt der Gedanke der Einheit von Bürger und Soldat. Das Milizprinzip gehört zum Schweizer Selbstverständnis. Bedarf es einer „Generalüberholung“ oder ist es gar am Ende, wie Auguren meinen? Nein, lautet die Antwort der Schweizerischen Offiziersgesellschaft (SOG). Eine Weiterentwicklung indes scheint nötig.
Die SOG setzt sich seit jeher für ein leistungsfähiges und ausgewogenes Schweizer Dienstpflichtsystem ein im Sinne des bewährten „Dreisäulenprinzips“ Armee – auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht (vgl. Art. 59 BV) –, Zivilschutz – die Einsatzbefugnis obliegt den Kantonen – und Zivildienst als Ersatzdienst für jene, die den Militärdienst mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können. Leider untergräbt die seit 2009 de facto bestehende Wahlfreiheit zwischen Militär- und Zivildienst die allgemeine Wehrpflicht zusehends.
Milizprinzip ist zeitgemäss
Wie auch der Entwurf des Sicherheitspolitischen Berichts des Bundesrats vom 14. April 2021 festhält, geben die erwähnten Säulen, darunter auch Milizprinzip und Dienstpflichtsystem, den Rahmen für die Gestaltung der Schweizer Sicherheitspolitik vor. Ihre Auslegung ist, so der Entwurf weiter, im Lichte politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen immer wieder zu überprüfen. Dagegen ist aus Sicht der SOG, namentlich angesichts der Alimentierungsprobleme von Armee und Zivilschutz, nichts einzuwenden. Selbst wenn heute das Milizsystem im Allgemeinen und die Wehrpflicht im Besonderen an gewisse Grenzen stossen, bedarf weder das Milizsystem einer „Generalüberholung“, noch ist die Wehrpflicht angeblich zur Farce geworden. Es ist uns jedoch bewusst, dass pragmatische und realisierbare Ideen gefragt sind, um die Bestände unserer Milizarmee mittelfristig sicherzustellen.
Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems
Lösungsansätze werden aktuell im Rahmen der laufenden Arbeiten des VBS am Bericht über die Alimentierung von Armee und Zivilschutz mit vier Varianten für eine längerfristige Weiterentwicklung der Dienstpflichtsysteme evaluiert. Erste Priorität geniesst für die SOG das Modell Sicherheitsdienstpflicht, bei dem weiterhin nur die Männer dienstpflichtig sind. Ziel ist, Zivilschutz und Zivildienst im neuen Katastrophenschutz zusammenzulegen. Auch das Modell Stellungspflicht für Militär- und Schutzdienst, das sogenannte Norweger Modell, bei dem alle Schweizerinnen und Schweizer stellungspflichtig wären, ist für die SOG prüfenswert. Eingezogen werden dabei nur jene, welche die Armee und der Zivilschutz effektiv brauchen. Ein Bürgerdienst dagegen, der gleich in zwei Varianten ausgearbeitet wird, mag staatspolitisch interessant sein, indem künftig neben den Männern auch die Frauen einen Dienst zugunsten der Allgemeinheit leisten, wobei maximale Wahlfreiheit gelten soll. Es fragt sich indes, ob es Aufgabe eines demokratischen und freiheitlichen Rechtsstaats sein kann, die gesamte Bevölkerung zu einer obrigkeitlich verordneten Freiwilligenarbeit zu verpflichten. Dazu sind die Vorgaben der EMRK zu bedenken.
Erfolgsmodell Schweizer Milizsystem
Für die SOG ist eine weitere Variante denkbar, die sie im Zuge des Projekts „Armee und Fraueninklusion“ entwickelt hat: die allgemeine Wehrpflicht für Männer und Frauen. Die Zeit ist grundsätzlich reif, dass beide Geschlechter in der Armee dieselben Rechte und Pflichten haben. Die Inklusion der Frauen ist sicherheitspolitisch relevant. Die Armee soll nicht mehr länger auf über 50 Prozent des Potenzials der Gesellschaft freiwillig verzichten. Sie soll das Know-how und die Kompetenzen der Frauen nutzen; gemischte Teams sind auch in der Armee erfolgreicher. Bei allen von der SOG favorisierten Modellen steht der sicherheitspolitische Aspekt, von staatstragender Bedeutung, im Vordergrund. Tragen wir also unserem Erfolgsmodell, dem Schweizer Milizsystem, um welches uns das Ausland so sehr beneidet, weiterhin Sorge, und geben wir es nicht ohne Not zeitgeistigen Modeströmungen preis.
Herzlichen Dank und auf Wiedersehen!
Mit diesem, meinem letzten ASMZ-Beitrag nach fünfeinhalb Jahren als SOG-Präsident, verabschiede ich mich statutengemäss von Ihnen. Es war mir eine Ehre und ein Privileg, die SOG zu führen und die ausgeprägt föderalistische Organisation, auf die ich so stolz bin, mitzuprägen. Dabei haben mir der enge Kontakt und der Dialog mit den Sektionen und Mitgliedern schweizweit sehr grosse Freude bereitet. Ich danke Ihnen allen herzlich für Ihre stete Unterstützung. Diese verleiht mir Motivation, Kraft und Befriedigung, mich weiterhin, in anderer Funktion, in den Dienst der Miliz zu stellen.