Von Andrea Kučera. Erschienen in der NZZ am Sonntag vom 18. Juli 2021.
Die Schweizerische Offiziersgesellschaft will mehr Frauen für die Armee gewinnen.
Mit Zwang, aber auch mit einem Kulturwandel und Unisex-Toiletten
Heute gilt: Männer müssen, Frauen dürfen Militärdienst leisten. Doch nun will die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) das ändern: «Um die Anzahl der Frauen in der Armee im grossen Rahmen zu steigern, muss die gleiche Dienstpflicht für Männer und Frauen eingeführt werden», sagt SOG-Präsident Stefan Holenstein. «Es ist an der Zeit, dass beide Ge-schlechter im Militär dieselben Rechte und Pflichten haben.» Für die SOG ist es das erste Mal, dass sie sich offiziell dafür ausspricht, dass Frauen ins Militär müssen. Die Forderung ist das Resultat eines seit Dezember laufenden Projekts der SOG zum Thema Fraueninklusion. Die Dachorganisation vertritt die Interessen der rund 22 000 Offiziere in der Schweiz und ist in der Sicherheitspolitik eine relevante Stimme. Ihr Zwischenbericht liegt nun auf dem Tisch von Verteidigungsministerin Viola Amherd. Die Offiziere kommen in ihrem 15-seitigen Papier zum Schluss, dass kein Weg an einer allgemeinen Dienstpflicht vorbeiführt, wenn Amherds Ziel von 10 Prozent Frauen in der Armee erreicht werden soll. Derzeit liegt der Frauenanteil bei 0,9 Prozent. Dass die Forderung ausgerechnet jetzt kommt, ist kein Zufall: Immer weniger junge Männer wollen ins Militär, viele wählen stattdessen den Zivildienst. Der Bundesrat geht in einem Bericht von Ende Juni davon aus, dass der angestrebte Bestand der Armee von 140000 Personen zwar noch einige Jahre gehalten werden könne. Spätestens Ende dieses Jahrzehnts werde sich das aber ändern. Dringlicher sei die Lage im Zivilschutz. Dieser sei schon heute unterversorgt. Der Ruf nach einer Ausweitung der Wehrpflicht ist denn auch vor diesem Hintergrund zu verstehen: Frauen sollen dazu beitragen, das Personalproblem zu entschärfen. Holenstein betont jedoch, es gehe nicht darum, dass die Frauen «Löcher stopfen» müssten. Vielmehr trügen diese mit ihrem Know-how und ihren Fähigkeiten zur Qualitätssteigerung bei. Die Inklusion der Frauen sei zudem sicherheitspolitisch relevant: «Wir sind der Überzeugung, dass die Armee nicht länger auf über 50 Prozent des Potenzials unserer Gesellschaft verzichten kann.»
67 Prozent sind dafür
Damit Frauen Militärdienst leisten können, müsste man die Verfassung ändern, was eine Volks-abstimmung bedingt. Recherchen zeigen, dass die Chancen für einen solchen Systemwechsel wohl noch nie so gut standen wie heute: Das Verteidigungsdepartement (VBS) prüft im Rahmen der Weiterentwicklung der Armee vier Varianten. Drei davon sehen vor, dass auch Frauen künftig Dienst leisten. Zudem sprachen sich in einer repräsentativen Studie der ETH Zürich von Ende Juni 67 Prozent der Befragten für eine Dienstpflicht für beide Geschlechter aus.
Ob eine allgemeine Dienstpflicht tatsächlich Chancen hätte vor dem Volk, hängt wohl davon ab, wie diese künftig überhaupt aussehen wird. Auch hierzu laufen beim VBS Überlegungen. Die Optionen reichen vom Zusammenlegen von Zivilschutz und Zivildienst bis zur Ablösung des Militärdienstes durch einen allgemeinen Bürgerdienst.
Druck in diese Richtung kommt auch aus der Zivilgesellschaft: So plant der Genfer Verein «Service Citoyen» eine Initiative für die Einführung eines Dienstes zugunsten von Gesellschaft und Umwelt. Die Gruppe der Initianten, die sich aus ehemaligen und aktiven Armeeangehörigen, Zivildienstleistenden und Feuerwehrleuten zusammensetzt, will so den Gemeinsinn stärken. Am 1. August beginnt die erste Phase der Unterschriftensammlung.
Die Initiative sieht vor, dass alle Schweizerinnen und Schweizer im Militär oder in einer Milizor-ganisation einen mehrwöchigen Einsatz leisten müssen. Dabei sollen aber die Sollbestände von Armee und Zivilschutz garantiert werden. Diese Einschränkung der Wahlfreiheit wurde gemacht, um Befürchtungen entgegenzuwirken, dass zu viele einen Einsatz beim Bergbauern oder im Spital dem Militärdienst vorziehen.
Die Idee stösst vor allem in bürgerlichen Kreisen auf Zustimmung. Zu deren Unterstützern gehört etwa der Aargauer FDP-Ständerat Thierry Burkart. Er ist der Urheber einer Motion der FDP-Fraktion. Darin fordern die Freisinnigen analog zu den Initianten einen allgemeinen Bür-gerinnen- und Bürgerdienst. Auf Anfrage sagt Burkart, die Motion sei als parlamentarischer Vorbote der Initiative gedacht. Es sei ein Gebot der Stunde, dass beide Geschlechter in die Pflicht genommen würden.
Stereotypen ausmerzen
Ähnlich sieht es Parteikollegin Maja Riniker, Präsidentin des Schweizerischen Zivilschutz-verbandes und Nationalrätin. Sie sagt: «Man muss Chancengleichheit nicht nur einfordern, sondern auch eine Gegenleistung erbringen.» SP-Nationalrätin und Sicherheitspolitikerin Priska Seiler Graf beurteilt eine wie auch immer geartete Dienstpflicht für Frauen hingegen kritisch – zumindest zum heutigen Zeitpunkt: «Ich begrüsse es, wenn die Armee Anstrengungen macht, Frauen freiwillig zum Militärdienst zu bewegen», sagt sie. Die Frauen zu verpflichten, sei aber verfehlt: «Solange Frauen weniger verdienen und mehr unbezahlte Care-Arbeit leisten als Männer, sehe ich nicht ein, warum man bei den Pflichten ansetzen soll statt bei den Rechten.»
Die Schweizerische Offiziersgesellschaft weiss, dass es mit der Forderung nach einer Frauen-Dienstpflicht allein nicht getan ist. Die Armee muss für Frauen auch attraktiver werden. Es brau-che dafür Anpassungen bei den Rahmenbedingungen und einen Kulturwandel, schreibt die SOG in ihrem Bericht. Denn: «Unbewusste Vorurteile gegenüber Frauen sind in der Armee besonders häufig und stark», sagt Tamara Moser, die bei der SOG das Projekt «Armee und Fraueninklusion» verantwortet. Diese zeigten sich, so der Bericht, etwa in Stereotypen wie starker Mann, schutzbedürftige Frau. Die SOG fordert vor diesem Hintergrund, dass alle Armeeangehörigen eine Schulung zu diesem Thema sowie zur Inklusion absolvieren.
Weitere vorgeschlagene Massnahmen umfassen unter anderem die Einführung von Unisex-Toiletten sowie von Kleidern in allen Grössen und Formen. Heute, sagt Moser, ist die kleinste Grösse bei den Kampfanzügen ein S für Männer. Für sie sind solche Beispiele symptomatisch: «Frauen sind zwar zum Militärdienst zugelassen», sagt sie. «Doch die Armee hat es versäumt, sie zu inkludieren und ihnen überall dieselben Rechte zu geben. Für den notwendigen Kultur-wandel braucht es jetzt systematische Massnahmen.»
Seit langem wissen wir in der Wirtschaft, dass gemischte Teams bessere Resultate bringen. Aber mit einer Schulung werden sie den „unconcious bias“ in der Armee nicht wegbringen, das haben wir eigentlich in der Wirtschaft schon vor 15 Jahren aufgegeben. Auch Vorschriften, Quoten, Gendersprache und all dass Zeugs nützen nichts bis wenig in meiner Erfahrung. Funktioniert haben nur individuelle Assessments des „unconcious bias“, dazu gibt es entsprechende Tests, dann individuelle Massnahmen und Massnahmen in jedem Führungsteam, abgestimmt auf die aktuelle Situation and immer wieder angepasst. Und selbstverständlich testen sie auch die Frauen, denn die sind nicht weniger anfällig auf „unconcious bias“ als die Männer. Sie bringen einen unbewusstes Vorurteil nicht mit generellen Massnahmen und Schulung weg sondern müssen es indivuell ins Bewusstsein bringen und indivduell über längere Zeit daran arbeiten. Aber das Gute an der Geschichte ist: da muss die Armee nichts Neues erfinden, das gibt es alles schon, das ist schon tausendfach erprobt und funktioniert und kann einfach kopiert werden. Ich würde der Bearbeitung von Symptomen wie TAZ Grössen und Unisex WCs nicht Priorität einräumen, die lösen sich dann von selbst.