Alimentierungsmängel gefährden die WEA

Von Oberst i Gst Stefan Holenstein, Präsident SOG. Erschienen in der ASMZ-Ausgabe 10-2020.

Der kürzlich erschienene VBS-Jahresbericht zum Standbild 2019 der Umsetzung der Weiterentwicklung der Armee (WEA) verheisst nichts Gutes. Das Erreichen der Ziele ist in weite Ferne gerückt. Die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) kritisiert insbesondere den ungenügenden Massnahmekatalog zur Behebung der Alimentierungsmisere. In diesem Zusammenhang bemängelt die SOG den Bundesratsbeschluss vom 26. August 2020, wonach die personellen Defizite im Zivilschutz gegenüber der Armee prioritär zu behandeln sind.

Zwar hält der Jahresbericht zum Standbild 2019 einleitend fest, dass die meisten Ziele, die sich die Armee für 2019 gesetzt hatte, erreicht werden konnten. So wurde die Kaderausbildung wie angestrebt verbessert, und die regionale Verankerung weiter gefestigt. Es bestünden „jedoch nach wie vor Herausforderungen bei der Alimentierung, bei der Ausrüstung und bei der Dezentralisierung von Material“. Mit Verlaub, diese Formulierung verharmlost die dramatische Situation, was die Alimentierung betrifft, gewaltig.

Alimentierungslücken gefährden Milizarmee
Genügend und geeignetes Personal ist die zentrale Voraussetzung, damit die Armee ihre Leistungen auch in Zukunft erbringen kann. Dies gilt schwergewichtig sicherlich für die Miliz, aber ebenso für das militärische und zivile Berufspersonal der Gruppe Verteidigung. Als die WEA konzipiert wurde, so hält der erwähnte Jahresbericht fest, ging die Armee von jährlichen Abgängen von 1.5% aus. In der Realität belaufen sich die Abgänge in den letzten Jahren auf durchschnittlich 2.5%. Die Gründe sind bekannt: Zu viele Wechsel in den Zivildienst, medizinische Ausfälle oder Dienstbefreiung. Die Quote liegt somit 1% höher als angenommen. Damit bleibt der jährliche Zuwachs für den angestrebten Effektivbestand von 140‘000 Militärdienstpflichtigen illusorisch.

Ziele der WEA-Umsetzung Ende 2022 unerreichbar
Die SOG hat seit dem Beginn der WEA-Umsetzung am 1. Januar 2018 das wichtige Reformprojekt begleitet und unterstützt. Sie hat wiederholt darauf hingewiesen, dass sich die WEA nach aktuellem Stand mehrheitlich auf Kurs befindet. Exakt mit diesen Worten hält dies auch der Jahresbericht zum Standbild 2019 fest. Die SOG hat andererseits von Beginn an und stets konsequent auf die drohende Personalentwicklung aufmerksam gemacht. Als sehr unerfreulich ist deshalb das verspätete Eingeständnis im Bericht zu taxieren, wonach die von der Armee eingeleiteten Massnahmen „sich jedoch erst längerfristig auswirken, d. h. sie gehen über den Zeithorizont der WEA hinaus“ (vgl. S. 14 des erwähnten Jahresberichts).

Wie steht es mit den Massnahmen?
Massnahmen seien zwar, so liest man weiter, ergriffen worden, um die Alimentierung zu verbessern. Auch wenn einige davon, wie etwa die differenzierte Tauglichkeit oder Progress, explizit aufgeführt werden, verlangt die SOG hier vollständige Transparenz. Es besteht ein enormer Handlungsbedarf. Weitergehende Massnahmen zur nachhaltigen Verbesserung der Armeebestände sollen offenbar erst nach Abschluss der Umsetzung der WEA 2023 erfolgen. Vor diesem Hintergrund ist der Entscheid des Bundesrats vom 26. August für uns mehr als unverständlich, dass der Bericht zur personellen Alimentierung von Armee und Zivilschutz, der bis Mitte 2021 und nicht wie ursprünglich vorgesehen auf Ende 2020 ausgearbeitet werden soll, in erster Linie Vorschläge zur Behebung der personellen Defizite in den Zivilschutzorganisationen machen wird. Eine Massnahme dürfte bis dann bereits realisiert sein. Wenn die Kantone Druck machen, geht es offenbar auch schneller. So unterstützt die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats den Vorstoss der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr, die Dienstpflicht für Zivilschützer bereits ab 2021 auf 14 Monate zu verlängern. Die SOG weiss um die beim Zivilschutz ebenfalls drastisch sinkenden Bestände; trotzdem hat sie kein Verständnis für die vom Bundesrat beschlossene Priorisierung. Wir werden bei den beiden Sicherheitspolitischen Kommissionen vorstellig werden.


SOG-Delegiertenversammlung (DV) vom 5. September 2020 im Zeichen von Air2030
Die Chefin VBS, Bundesrätin Viola Amherd, und die weiteren Referenten Ständerat Thierry Burkart (Co-Präsident Kampagnenleitung), Regierungsrat Philippe Müller (Sicherheitsdirektor Kanton Bern) sowie Stefan Berger (Stadtpräsident Burgdorf) nutzten die Gelegenheit, um den Endspurt für die zentral wichtige Beschaffung neuer Kampfflugzeuge mit klaren und prägnanten Botschaften zu lancieren. Im Zentrum der Ausführungen des Chefs der Armee, KKdt Thomas Süssli, stand die ‘Vision Verteidigung 2030+’. Dabei wies er explizit darauf hin, dass er hierfür die Interaktion mit der SOG suchen wird. Im geschäftlichen Teil der DV stimmten die Delegierten erfreulicherweise allen Anträgen des Vorstands einstimmig zu, so auch der Neuwahl der seit langer Zeit ersten Frau im Vorstand, Major Tamara Moser. Der amtierende Präsident wurde für ein weiteres, statutarisch letztes und fünftes Jahr im Amt bestätigt. Er dankte den Delegierten und den Sektionen für das einhellige Vertrauen in seine Arbeit.

2 Gedanken zu „Alimentierungsmängel gefährden die WEA

  1. Elmar Hutter

    Viele Probleme der Armee haben mit dem schwindenden Bürgersinn und dem Willen, sich für diesen Staat einzusetzen, zu tun. Die Entfernung oder zumindest Rückstufung des Unterrichts in Schweizer Geschichte an den Volksschulen und die weitverbreitete Geringschätzung eines gesunden Patriotismus zeigt seine Früchte. Fehlende bzw. mangelhafte Informationen des Staates und der Medien zu Sicherheitsfragen des Landes leisten weitere Dienste zur Unterwanderung eines gesunden Staatsverständnisses und der Institutionen, die den demokratischen Staat schützen sollen. Die Lektüre von SUN TZU („Die Kunst des Krieges“) sollte zur Pflichtlektüre jedes Offiziers der Schweizer Armee erklärt werden.

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  2. Markus M. Müller, Oberstlt i Gst

    1) Ist das Problem der Unteralimentierung denn so neu? Nein, der Trend ist schon lange bekannt. Wieso hat man dann nicht mit der WEA das Problem behoben, sondern eher noch verschärft?
    2) War es nicht auch die SOG, welche die „WEA“ mit der Halbierung des Mannschaftsbestands unterstützte? Genau! Doch statt vor der Umsetzung die Reform genau zu durchleuchten hat man sie in den Himmel gelobt. Nun werden die Mängel offensichtlich. Mängel, welche übrigens von den Gegnern der WEA immer deutlich hervorgehoben wurden. Doch jetzt ist der Mist geführt…
    3) Der Vorschlag zur Verlängerung der Dienstpflicht / -zeit ist unterstützenswert. Besser wäre gewesen, man hätte die Reduktion der Anzahl Diensttage erst gar nicht zugelassen. Der Widerstand gegen eine Erhöhung wird massiv sein – viel Erfolg!
    4) Getragen vom „Prinzip Hoffnung“, erwartete man fundamentale Änderungen beim Zivildienstgesetz. Unternehmer wissen, lieber verbessert man seine eigene Position, als dass man seine Konkurrenz schlechtmacht.

    Prognose: Die nächste (halbe) Armeereform wird einmal mehr den Personalbestand verringern. Begründung: „Es kommen eben nicht mehr so viele wie früher. Wir verlieren sie an den Zivildienst.“ Was spontan logisch klingt ist aber eine Bankrotterklärung. Oder steckt Absicht dahinter?

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