Von Oberst i Gst Stefan Holenstein, Präsident SOG. Erschienen in der ASMZ-Ausgabe 07-2019.
Es kursieren immer wieder Ideen, wie eine Dienstpflicht der Zukunft
aussehen könnte. Nun bereitet der Verein ServiceCitoyen.ch eine
Volksinitiative zur Einführung eines Bürgerdienstes vor. In der Westschweiz löste er eine beachtliche Resonanz aus. Die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) ist dieser Initiative gegenüber aus vielerlei Gründen skeptisch eingestellt.
In der Westschweiz hat der Verein ServiceCitoyen. ch eine Volksinitiative zur Einführung eines Bürgerdienstes ausgearbeitet, wonach künftig neben den Männern auch die Frauen einen Dienst zugunsten der Allgemeinheit leisten. Dabei soll Wahlfreiheit bestehen. Die Dienstpflichtigen können sich weitgehend frei entscheiden, wo sie sich engagieren, gleich ob im Militär, im Zivilschutz, Zivildienst, bei der Feuerwehr, in Vereinen oder in politischen Ämtern bei Gemeinden. Die Initiative sieht immerhin einen Notfall- Artikel vor: Der Bundesrat darf die Wahlfreiheit einschränken, wenn es zu personellen Engpässen in der Armee kommt.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Auf den ersten Blick mag das Projekt des Vereins ServiceCitoyen.ch gefallen, wie zahlreiche Reaktionen selbst von bürgerlichen Politikern in der Westschweiz zeigen. Staatspolitisch hätte das Modell etwa den Vorteil, dass es die verfassungsmässige Gleichstellung von Mann und Frau umsetzt. Trotzdem: Es geht ihm aus Sicht der SOG jegliche Originalität und jeglicher Realitätssinn ab. Denn bereits im Bericht der Studiengruppe Dienstpflichtsysteme vom 15.03.2016 – die SOG arbeitete damals mit – wurde das analoge Modell «Allgemeine Dienstpflicht» nach intensiver Abklärung vieler Detailfragen sehr kritisch und für kaum realisierungsfähig beurteilt. ServiceCitoyen.ch, will die Initiative in den nächsten Monaten starten; hier wird alter Wein in neuen Schläuchen aufgetischt.
Sicherheits- und staatspolitisch bedenklich
Die grösste Schwachstelle der Initiative von ServiceCitoyen.ch besteht darin, dass sie den sicherheitspolitischen Rahmen – trotz gegenteiliger Beteuerung – völlig ausseracht lässt. Der Dienst in der Armee verliert gegenüber dem Gemeinschaftsdienst seinen Stellenwert. Der Grundsatz der Allgemeinen Wehrpflicht, dem das Volk 2013 mit 73% Ja haushoch zugestimmt hat, würde ausradiert und die Wahlfreiheit verfassungsmässig verankert. Staatspolitisch käme dies einem Paradigmenwechsel gleich, indem das Obligatorium nicht mehr dem Militärdienst, sondern dem Milizdienst gelten würde. Ist es wirklich Aufgabe eines demokratischen und liberalen Staats, die gesamte Bevölkerung zu einer obrigkeitlich verordneten Freiwilligenarbeit zu verpflichten? Der Artikel 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention setzt solchen Pflichteinsätzen klare Grenzen. Vom enormen bürokratischen Aufwand gar nicht erst zu sprechen. Schliesslich, wie denken die Frauen und die älteren Mitbürger über eine allgemeine Dienstpflicht? Tragen die Ersteren die Mehrbelastung mit, und wo setzt man bei Letzteren die Altersgrenze?
Konzentration auf die Revision des ZDG
Konzentrieren wir uns jetzt auf das Wesentliche, nämlich auf das bewährte Dreisäulenprinzip Armee, Zivilschutz und Zivildienst. Alle drei Dienstpflichtsysteme befinden sich in Revision. Das Reformprojekt Weiterentwicklung der Armee (WEA) wird Ende 2022 abgeschlossen; das Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz (BZG) ist in der vorparlamentarischen Beratung. Politisch derzeit am dringendsten ist die Revision des Zivildienstgesetzes (ZDG). Auch wenn die SOG angesichts der sinkenden Rekrutierungszahlen beim Zivilschutz grundsätzlich Verständnis für das Anliegen der Kantone hat, den Zivilschutz mit dem Zivildienst zu einer neuen Organisation Katastrophenschutz zu verschmelzen, so erachtet sie eine Zusammenführung zurzeit als weder zweckmässig noch opportun. Eine solche bedingte eine Verfassungsänderung. Die SOG kritisiert die aus ihrer Sicht überhastete Sistierung der Beratung des ZDG durch die sicherheitspolitische Kommission des Ständerats am 24.05.2019. Wir befürchten, dass die Revision des ZDG auf die lange Bank geschoben wird – mit unabsehbaren Folgen für die Alimentierung der Armee (vgl.Kasten).
Bericht des Bundesrats zur WEA – es schrillen die Alarmglocken!
In seinem Bericht vom 07.06.2019 zur Umsetzung der WEA stellt der Bundesrat fest, dass diese insgesamt wie geplant läuft. Bei gewissen Formationen bestehen zwar noch Ausrüstungslücken, die bis Ende 2022 reduziert werden sollen. Viel dramatischer beurteilt die SOG indes die immer gravierenderen und im Bericht deutlich zum Ausdruck gebrachten personellen Unterbestände. Schon seit langem weist die SOG auf drei wirksame Sofortmassnahmen hin: verstärkte differenzierte Tauglichkeit, dringende Revision des ZDG sowie intensive Promotion zur Gewinnung der Frauen für die Armee. Zum letzten Thema wird die SOG mit der Chefin VBS nächstens das Gespräch aufnehmen.
Die Einführung eines Bürgerdienstes ist nicht machbar, er verstösst gegen Art. 4 der EMRK.
Abs. 2 verbietet Pflichtarbeit und diese Arbeit kann nicht als „übliche Bürgerpflicht“ bezeichnet werden (Abs. 2d)! Abs. 2b bezeichnet explizit eine Dienstleistung militärischer Art oder eine Dienstleistung, welche an die Stelle der militärischen Dienstleistung tritt (Zivildienst), als Ausnahme.
Somit müsste die Initiative eine allgemeine Wehrpflicht der Frauen fordern, was wohl keine 100’000 Unterschriften einbringen würde!