Die Armee kommt nicht mehr gegen die Vorzüge des Zivildiensts an

Interview vom 21. Februar 2018 im „St. Galler Tagblatt“

Der Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, Stefan Holenstein, fordert die Wiedereinführung der Gewissensprüfung. Zudem wehrt er sich gegen die Kritik an seiner Organisation wegen des Neins zum Waffenrecht.

2019 ist das Jahr der Frau in der Armee: Die Schweiz hat ihre erste F/A-18-Pilotin und ihre erste Verteidigungsministerin. Die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) moniert schon länger, dass es zu wenig Frauen gebe in der Armee. Wie könnte das die neue Verteidigungsministerin Viola Amherd ändern?

Stefan Holenstein: Der Frauenanteil in der Armee verharrt tatsächlich seit Jahren auf bedenklich tiefem Niveau von unter einem Prozent. Wir sind europäisches Schlusslicht. Wir können nicht eine Milizarmee haben, bei der die Hälfte der Bevölkerung nicht eingebunden ist. Gerade in Spezialistenfunktionen sind Frauen gefragt. Dass nun erstmals eine Frau das Verteidigungsdepartement führt, könnte einen positiven Effekt haben. Doch das reicht nicht, es braucht konkrete Massnahmen. Für uns ist klar: Vergangenes Jahr hat man eine Chance verpasst, als man sich entschied, den Orientierungstag für Frauen nicht obligatorisch zu machen.

Die kantonalen Militärdirektoren kamen zum Schluss, dass dafür eine Verfassungsänderung nötig und das unverhältnismässig wäre. Sind Sie anderer Meinung?

Es ist nicht primär eine rechtliche Frage, sondern vielmehr eine des politischen Willens. Die Kantone und der Bund haben zu früh aufgegeben. Wir haben nun Signale vom Verteidigungsdepartement, dass eine Lösung eventuell doch machbar ist. Der obligatorische Orientierungstag für Frauen scheint noch nicht gestorben. Ich werde dieses Thema auch mit Frau Amherd besprechen. Unser Ziel ist es, künftig einen Frauenanteil von zwischen drei bis fünf Prozent zu erreichen. Das würde uns auch helfen beim Bestandesproblem der Armee, das sich leider noch verschärfen wird.

Die Armee hat zu wenig Personal?

Ja, eindeutig. Wir von der SOG sind alarmiert über die Situation. Der neuste Bericht zur Umsetzung des Reformprojekts Weiterentwicklung der Armee (WEA) zeigt, dass der Effektivbestand Anfang 2023 auf 123’000 absinken wird, was wohl immer noch zu wohlwollend gerechnet ist. Dabei bräuchte es eigentlich 140’000 Soldaten. Die Situation entgleitet uns völlig.

Was ist das Problem?

Die Antwort ist einfach: die Wahlfreiheit. Die Armee kommt schlicht nicht mehr gegen die Vorzüge des Zivildiensts an. Eine völlig unfaire Ausgangslage! Früher hatten wir pro Jahr nie mehr als 2000 Zivildienstabgänger. Dann wurde 2009 die Gewissensprüfung abgeschafft. Das war wohl der Polit-Fehler des Jahrzehnts, der die Armee und die allgemeine Wehrpflicht heute in den Grundfesten erschüttert. Letztes Jahr gab es wieder einen neuen Rekordwert: Unter dem Strich hatten wir wohl gegen 7400 Zivildienstabgänger, wenn man die nicht behandelten Gesuche auch berücksichtigt. Für die Armee wird die Entwicklung zum existenziellen Problem. Wir verlangen von der Politik dringliche Massnahmen, um die Wehrgerechtigkeit wiederherzustellen.

Der Bundesrat ist nicht untätig geblieben. Er hat gestern eine Gesetzesrevision mit Massnahmen verabschiedet, um den Zivildienst unattraktiver zu machen (siehe Kasten unten rechts). Reicht das nicht?

Nein. Der Zivildienst war immer ein militärischer Ersatzdienst. Für uns ist angesichts dieser Situation klar: Die Gewissensprüfung muss wieder eingeführt werden. Damit man uns nicht falsch versteht: Wer wirklich einen Gewissenskonflikt hat, der soll in den Zivildienst gehen können. Nur ist es heute so, dass junge Menschen nicht in die Armee gehen, weil die Ausnahmeregelung eben viel bequemer ist. So wird die allgemeine Wehrpflicht ausgehebelt und das System missbraucht.

Was passiert, wenn die Politik nicht handelt?

Dann müssen wir ganz generell darüber diskutieren, ob die Milizarmee und die allgemeine Wehrpflicht noch Sinn ergeben. Eine solche Entwicklung wäre aber schade, denn wir werden weltweit bewundert für unser heutiges System. Wir wollen und müssen unser Erfolgsmodell beibehalten.

Die SOG wurde in den vergangenen Wochen scharf kritisiert, weil sie sich gegen die Verschärfung des Waffenrechts ausgesprochen hat, über die im Mai abgestimmt wird. Warum setzen Sie die Schengen-Mitgliedschaft der Schweiz aufs Spiel?

Wir sind nicht gegen Schengen. Als verantwortungsvolle sicherheitspolitische Organisation ist uns klar, wie wichtig das Abkommen für die Schweiz ist, auch für die Sicherheit. Das haben wir in unserer Lagebeurteilung berücksichtigt. Wir kritisieren jedoch, dass bei den Befürwortern der Übernahme der EU-Waffenrichtlinie die Angst – ja fast schon Panikmache – vor einem automatischen Austritt aus dem Schengen-Abkommen dominiert. Das ist sehr einseitig.

Welche Konsequenzen hätte ein Nein der Schweiz zur Übernahme der EU-Waffenrichtlinie denn aus Ihrer Sicht? Die Schengen-Mitgliedschaft der Schweiz bietet auch der EU Vorteile. Ich bin deshalb überzeugt, dass diese Mitgliedschaft, allenfalls nach entsprechenden Verhandlungen, weiterhin bestehen bleibt. Was spricht für Sie inhaltlich gegen die Vorlage? Der Bundesrat hat doch gut verhandelt und einige Ausnahmen für die Schweiz herausgeholt.

Nein, zu unserem Bedauern hat Frau Sommaruga den Handlungsspielraum nicht ausgenützt. Die Übernahme der EU-Waffenrichtlinie bringt keinen Sicherheitsgewinn oder einen Vorteil im Kampf gegen den Terrorismus, was ja eigentlich das Ziel war. Die neuen Regeln führen nur zu mehr Bürokratie und mehr Aufwand. Zudem sind wir nicht einverstanden damit, dass die Sturmgewehre 57 und 90 als verbotene Waffe kategorisiert werden. Die Verschärfungen sind weder nötig noch verhältnismässig, noch haben sie einen Nutzen. Betonen möchte ich, dass wir keine Parole abgegeben, sondern nur ein Positionspapier verabschiedet haben.

Trotzdem unterstützt die SOG die Kampagne der Gegner finanziell.

Ja, mit einem angemessenen vierstelligen Betrag.

Kritik am Positionsbezug der SOG kam unter anderem von Politikern wie Josef Dittli, Präsident der ständerätlichen Sicherheitskommission. Er sagte, Sie würden an der Basis vorbei politisieren.

Ich bin ehrlich gesagt überrascht gewesen über die zum Teil emotionalen Reaktionen auf unser Positionspapier. Über die Aussagen von Herrn Dittli habe ich mich ein wenig geärgert. Er hat, obwohl er Oberst im Generalstab ist, die Struktur des SOG wohl nicht verstanden. Die Offiziersgesellschaft ist parteipolitisch völlig unabhängig. Es ist doch klar, dass nicht alle 22’000 Offiziere die gleiche Meinung vertreten. Auch in den politischen Parteien haben Sie immer abweichende Meinungen. Das ist auch richtig so. Die Position der SOG bei diesem Thema ist aber basisdemokratisch breit abgestützt.

Aber auch Armeechef Philippe Rebord höchstpersönlich meldete sich über die Medien zu Wort und stärkte dem Bundesrat den Rücken.

Über die Aussage des Chefs der Armee habe ich mich sehr gewundert. Wir werden uns übrigens bald aussprechen. Man muss sich bewusst sein, dass sich die Armeeführung politisch in einem engen Korsett befindet und die Haltung des Bundesrats vertreten muss, selbst wenn sie persönlich vielleicht anders denkt. Die Schweizerische Offiziersgesellschaft kann sich freier äussern – und das erachte ich durchaus auch als ihre Aufgabe.

Die neue Verteidigungsministerin Viola Amherd hat keine Militärerfahrung. Ist das ein Problem?

Es muss kein Nachteil sein. Sie kann unbelastet und ohne Scheuklappen an die grossen Projekte herangehen, die uns so zahlreich erwarten. Wir hoffen, dass sie frischen Schwung und eine neue Kultur ins Verteidigungsdepartement bringt. Das ist dringend nötig. 23 Jahre lang hat die SVP das VBS mit mehr oder weniger glücklichen Händen geführt. Ich hoffe, dass Amherd dem Departement endlich die Bedeutung geben kann, die es verdient. Das VBS wird heute zu Unrecht unterschätzt. Denn Sicherheit ist wichtiger denn je.

Vergangene Woche hat Amherd bekanntgegeben, dass sie bei der Erneuerung der Luftverteidigung, dem sogenannten Projekt Air 2030, nochmals über die Bücher will. Finden Sie das richtig?

Absolut. Wir haben Verständnis dafür, dass sie nun eine eigene Analyse vornehmen will, bevor sie über das weitere Vorgehen entscheidet. Diese Zeit soll sie sich nehmen. Wie die Lösung am Schluss genau aussieht, ist für uns nicht einmal so wichtig. Sie muss diesmal einfach wirklich breit abgestützt sein. Aber: Amherd muss trotzdem vorwärtsmachen, die Zeit drängt.

Guy Parmelin, der Vorgänger von Amherd, wollte dem Parlament einen Planungsbeschluss für den Kauf neuer Kampfjets und Boden-Luft-Raketen vorlegen. War das keine gute Idee?

Wir haben dadurch faktisch ein Jahr verloren. Das Projekt wurde von Parmelin und seiner Mannschaft zu wenig konsequent aufgegleist. Darüber sind wir bei der SOG wenig erfreut. Man hat uns immer gesagt, dass der Planungsbeschluss – den wir inhaltlich noch immer gut finden – auf bürgerlicher Seite breit abgestützt sei. Das war aber offenbar nie der Fall, die CVP und die FDP waren nie dafür.

Zur Person
Stefan Holenstein ist seit März 2016 Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft (SOG). In der Schweizer Armee bekleidet er als Milizoffizier den Grad eines Obersts im Generalstab. Seine Militärkarriere begann 1982, als er als Artillerie-Kanonier in die Rekrutenschule einrückte.

Im zivilen Leben studierte Holenstein Rechtswissenschaften. Danach war er zuerst als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Zürich und als juristischer Sekretär am Bezirksgericht Zürich tätig, später wechselte er in die Privatwirtschaft. Er arbeitete unter anderem als Generalsekretär beim Reisekonzern Kuoni, als Rechtskonsulent bei Swiss Life, als Leiter Corporate Services bei der Erb-Gruppe und als stellvertretender Direktor beim Verband Santésuisse. Heute ist er Partner einer Interims-Managementfirma. Holenstein ist ledig und wohnt in Zürich. (mbu)

Höhere Hürden für den Zivildienst
Die hohe Zahl von Personen, die statt dem Militär- den Zivildienst absolvieren, bereitet dem Bundesrat schon seit längerer Zeit Kopfzerbrechen. Die Statistik spricht eine deutliche Sprache: In den fünf Jahren vor 2009 wurden jeweils zwischen 1400 und 1600 Zivis zugelassen. Doch dann wurde die sogenannte Gewissensprüfung abgeschafft: Wer vom Militär- zum Zivildienst wechseln will, muss seither nur noch ein Formular ausfüllen, statt eine Anhörung zu absolvieren. Nach diesem Systemwechsel sank die Zahl der Zulassungen nie mehr unter 4600. Seit 2011 hat sie gemäss der Statistik des Bundesamtes für Zivildienst fast jedes Jahr zugenommen. 2018 wurden 6200 Zulassungen registriert. Etwa die Hälfte reichte das Gesuch vor der Rekrutenschule ein, 36 Prozent danach, der Rest währenddessen.

Diese Entwicklung gefällt der Landesregierung ganz und gar nicht. Es bestehe «Handlungsbedarf», findet sie. Der Bundesrat will darum den Wechsel von der Armee zum Zivildienst erschweren. Gestern hat er eine Revision des Zivildienstgesetzes mit entsprechenden Massnahmen verabschiedet. «Der Bundesrat will dem Grundsatz, dass keine Wahlfreiheit zwischen dem Militär- und dem Zivildienst besteht, wieder verstärkt Geltung verschaffen», sagte Guy Parmelin, Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung, dem das Bundesamt für Zivildienst angegliedert ist.

Referendum gegen Vorlage ist wahrscheinlich
Mit insgesamt acht Massnahmen will der Bundesrat den Zivildienst weniger attraktiv machen. So soll beispielsweise die Dienstzeit der Zivis verlängert werden: Die Landesregierung schlägt vor, dass diese künftig mindestens 150 Zivildiensttage absolvieren müssen. Heute müssen sie eineinhalbmal so viele Diensttage leisten wie Armeeangehörige, wobei die bereits geleistete Militärdienstzeit jedoch angerechnet wird. Die nun vorgeschlagene Mindestzahl würde die Dienstzeit für jene Personen verlängern, die ab dem ersten WK wechseln. Weiter will der Bundesrat eine Wartefrist von zwölf Monaten einführen, während der weiterhin Militärdienst leisten muss, wer in den Zivildienst will. Zudem soll die Möglichkeit von Einsätzen im Ausland abgeschafft werden.

Als nächstes muss sich nun das Parlament über die Vorlage beugen. Die Chancen stehen gut, dass sie durchkommt. Die bürgerlichen Parteien SVP, FDP und CVP unterstützen den Kurs des Bundesrats.

Kritik an den Plänen der Landesregierung kommt hingegen von links. Die SP spricht in einer Mitteilung von einem «Frontalangriff von rechts auf den Zivildienst». Dieser sei aus zahlreichen sozialen Einrichtungen nicht mehr wegzudenken. Dennoch greife ihn die rechte Mehrheit im Bundesrat an, so die SP weiter, indem sie «ohne jeden Nachweis öffentlichen Interesses vom Parlament eine massive Verschlechterung der Zivildienstzulassung» fordere. Man werde das Vorhaben «mit allen Mitteln bekämpfen, sollte sich auch im Parlament die rechte Mehrheit durchsetzen».

Ins gleiche Horn bläst der Zivildienstverband Civiva. Die Massnahmen des Bundesrates würden den Zivildienst «grundlegend gefährden», heisst es in einer Mitteilung. «Wichtige Prinzipien wie die Gleichbehandlung aller Dienstpflichtigen oder das Recht, jederzeit einen Gewissenskonflikt geltend zu machen, werden untergraben.» Dass es zu einem Referendum kommt, falls die Vorlage vom Parlament so verabschiedet wird, ist also sehr wahrscheinlich.

 

2 Gedanken zu „Die Armee kommt nicht mehr gegen die Vorzüge des Zivildiensts an

  1. Beda Düggelin

    Der Präsident der SOG spricht Klartext, aber man will die SOG gar nicht mehr hören, leider! Der politische Wille für eine glaubwürdige Sicherheitspolitik ist längst abhanden gekommen. Die Wiedereinführung der Gewissensprüfung ist absolut notwendig, andernfalls findet der Zivilersatzdienst alsbald in den Bahamas statt, wenn der Dienstpflichtige wählen kann. Kriegsgenügen ist kein Wahlprogramm, sondern eine staatspolitische Aufgabe! Frauen in der Armee sind eine gute Sache, allerdings können freiwillige Frauen unsere Armee nicht retten. Aber in verantwortlicher Position in der Armee tätig zu sein (Kampfjetpilotin u. andere Chargen) ist natürlich auch für Frauen attraktiv, auch im Sinne der Chancengleichheit.
    CdA REbord hat sich unglücklich und missverständlich geäussert, es ist seine freie Meinung für das Waffenverbot einzustehen, das heisst aber nicht, dass die Armee als ganzes auch diese Meinung vertritt. Die EU würde sich ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie Schengen bei einem Nein aufkündigen würde. Hört endlich auf mit dieser Drohkulisse, offizielle Schweiz! Die Schweiz hat ja keine Aussengrenzen des Schengen-Raumes. Flüchtlinge kommen nicht zu Tausenden mit dem Flugzeug nach Kloten oder Genf und dort wären sie gut kontrollierbar.

    Antworten
  2. Zala Boris

    Il popolo svizzero é stufo di sentire solo pressioni e minacce da Berna e dalla Ue riguardanti ad alcune votazioni federali.Senza poi pensare a una gran parte dei media svizzeri che continuano anche loro a tartassare la testa a suon di notizie pro euro.Per fortuna abbiamo altri mezzi di informazione e possiamo avere un`opinione esatta di questo andazzo politico ed economico della UE.Schengen doveva costare solamente 7mio all`anno e invece ne costa ben 185 mio.In questi anni quanto abbiamo speso?E poi vengono a dirci che uscire da Schenghen ci viene a costare 10 miliardi di franchi.Senza pagare 185mio tutti gli anni + il miliardo di coesione;in poco tempo quei dieci miliardi li risparmiamo.Scrivo così,perchè non dobbiamo avere timore di votare NO alla legge sulle armi.Di Schengen non cambierà un bel niente e il pragmatismo verrà fatto dalla Ue,per una mancanza cospiqua di entrate della Svizzera!

    Antworten

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.