Von Oberst i Gst Stefan Holenstein, Präsident SOG. Erschienen in der ASMZ-Ausgabe 09-2017.
Militärdoktrin der Schweizer Armee? Ja, es gibt sie. Die Doktrin gibt Antworten auf die Frage, welche Aufgaben die Armee erfüllen muss. In der soeben erschienenen Broschüre «Die Doktrin kurz erklärt» des VBS findet die Erdkampffähigkeit der Luftwaffe hingegen nur in einem Nebensatz Platz. Eine verpasste Chance, findet die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG). Gerade im Hinblick auf die Gesamterneuerung der Kampfflugzeugflotte ist es wichtig, alle Aufgaben der Luftwaffe und den benötigten Mittelansatz aufzuzeigen.
Rechtzeitig auf die Sommerpause hin erreichte die Lektüre die Briefkästen der Schweizer Offiziere. Der Armeestab hat eine gefällige Broschüre mit dem Titel «Die Doktrin kurz erklärt. Wie setzen wir unsere Armee ein?» versandt. Abgeleitet aus der Bundesverfassung, dem Militärgesetz und dem Sicherheitspolitischen Bericht des Bundesrates werden die Armeeaufgaben dargestellt und die Doktrin erklärt. Die Doktrin legt mittels allgemein gültiger Prinzipien fest, wie die Armee ihre Aufgaben angeht und welche Fähigkeiten bzw. Einsatzverfahren dazu notwendig sind. Die zentralen Grundlagen für die Doktrin sind die Bundesverfassung, das Militärgesetz und der Sicherheitspolitische Bericht. Diese legen folgende Armeeaufgaben fest: Verteidigung, Wahrung der Lufthoheit, Friedensförderung sowie Unterstützung der zivilen Behörden.
Erdkampffähigkeit in Doktrin unzureichend gewürdigt
Wenn wir die Armeeaufgabe Verteidigung – die Raison d’être der Armee – genauer betrachten, fällt auf, dass der Begriff vielschichtiger geworden ist. Das ist positiv zu würdigen. Es geht nicht mehr lediglich um die Abwehr eines herkömmlich bewaffneten militärischen Angriffs, sondern um den ganzheitlichen Schutz des Landes, der Bevölkerung und der kritischen Infrastrukturen. Wichtig und richtig ist auch die Definition der Dimensionen, in der die Armee verteidigen muss. Es sind dies die drei Operationsräume Boden, Luftraum und der Cyber-Raum, der auch als Informationsraum oder elektromagnetischer Raum bezeichnet wird.
Am Boden wirkt die Infanterie als Schutzelement. Die mechanisierten Kräfte können als Reserve gezielt intervenieren. Die Verteidigung des Luftraums erfolgt gemäss Doktrin sowohl mit Kampfflugzeugen als auch mit der bodengestützten Luftverteidigung. Beide Mittel ergänzen sich.
Unzureichend ist hingegen, dass in der Doktrin die notwendige Erdkampffähigkeit der Luftwaffe nur andeutungsweise in einem Nebensatz im Abschnitt zu den mechanisierten Kräfte erwähnt wird: «Sie [die mechanisierten Kräfte] werden – falls nötig – aus der Luft […] unterstützt.»
Gesamterneuerung der Kampfflugzeugflotte
Dieses Versäumnis ist vor dem Hintergrund der anstehenden Gesamterneuerung der Kampfflugzeugflotte der Luftwaffe eine verpasste Chance. Ist es doch gerade diese Vielfalt der Aufgaben der Luftwaffe im Verteidigungsfall (Luftverteidigung, Erdkampf und Aufklärung), welche es notwendig macht, dass die Schweiz eine Flotte von mindestens 70 Kampfflugzeugen aufweist. Denn allein für die Luftverteidigung sind vier bis fünf Staffeln notwendig. Das hat der Bundesrat im Rahmen der Abstimmung zum Gripen festgehalten. Hinzu kommen zwei Staffeln, welche für den Erdkampf gerüstet und spezialisiert sind und eine Staffel, die Luftaufklärung betreibt. Dies ergibt insgesamt sieben bis acht Staffeln zu je elf Kampfflugzeugen.
Diese Aufgaben können durch den gleichen Flugzeugtyp abgedeckt werden. Allerdings darf man sich nicht etwa vormachen, ein modernes Multi-Role-Kampfflugzeug könne heute den Luftraum verteidigen und morgen im Erdkampf eingesetzt werden. Denn selbst bei gleicher Typenplattform fallen die Konfiguration, die Ausrüstung und die Bewaffnung völlig unter- schiedlich aus.Von der anforderungsreichen Ausbildung der Piloten ganz zu schweigen. Auch diese müssen sich spezialisieren und können nicht von heute auf morgen für eine andere Mission eingesetzt werden.
Notwendige Infrastruktur
Die SOG ist der klaren Überzeugung, dass der Spielraum für die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge nicht eingeschränkt werden darf und die notwendige Infrastruktur erhalten bleiben muss. Es ist zu befürchten, dass der Kauf von 70 Kampfflugzeugen nicht mehr möglich sein wird, wenn die Luftwaffe nur noch über die Flugplätze Payerne, Meiringen und Emmen verfügt. Das Stationierungskonzept ist in dieser Hinsicht noch einmal kritisch zu hinterfragen. Solange die Anzahl der zu beschaffenden Flugzeuge nicht feststeht, muss der Standort Sion erhalten und der Flugplatz Buoch als «Sleeping Base» beibehalten werden, dies im Sinne der Flexibilität und der Reserve. Schliesslich ist auch die Politik gefordert, der Armee mehr Mittel für den Betrieb der Infrastrukturen und Flugplätze zu sprechen. Denn es ist letztlich die Armee, die das Land, die Bevölkerung und die kritischen Infrastrukturen zu schützen hat.
Obwohl in der Aufzählung Alpnach vergessen ging kommt die Erkenntnis, dass nur noch zwei echte «Jet-Kriegsflugplätze» zu wenig sind, reichlich spät. Im Alternativen Stationierungskonzept der Forums Flugplatz Dübendorf und der AVIA wurde schon im Jahr 2005 explizit auf diesen «Eliminierungstrend» mit fatalen Folgen hingewiesen. Leider erfolglos!