Die heute praktizierte Wehrpflicht gleicht einem Supermarkt, in dem jeder machen und wählen kann was er will, wie er es will und wann er es will. Diese unverantwortliche Auslegung der Wehrpflicht schwächt und bedroht die Fähigkeiten und die Bereitschaft der einzigen strategischen Reserve unseres Landes, der Armee, ernsthaft. Es geht hier um eine existenziellen Frage der Schweizer Sicherheitspolitik.
Beitrag von Br Denis Froidevaux, Präsident SOG, aus der ASMZ 12/2015
Wenn man den Donner hört, ist es zu spät, sich die Ohren zuzuhalten. (Sun Tzu)
Im Jahr 2013 lehnten 73% der Wählerinnen und Wähler die Initiative der Gruppe Schweiz ohne Armee zur Abschaffung der Wehrpflicht ab. Die Wehrpflicht wird jedoch schleichend unterhöhlt, wenn neben anderem die Fehlentwicklung beim Zivildienst nicht gestoppt wird. Immer mehr Reformen und Lockerungen haben aus der Militärdienstpflicht zur Produktion von Sicherheit für das Land und die Bevölkerung eine freie Wahl zwischen Militärdienst und Zivildienst werden lassen. Mittlerweile haben wir den bisherigen Höhepunkt in dieser Fehlentwicklung erreicht.
Die SOG ist ernsthaft besorgt über die aktuelle Situation, in der sich der Zivildienst – in der öffentlichen Meinung wie auch im eidgenössischen Parlament – von einem Ersatzdienst zur Entkriminalisierung von Dienstverweigerern aus Gewissensgründen zu quasi einer sozialen Errungenschaft und frei wählbaren Alternative zum Militärdienst entwickelt hat. Es ist zwingend notwendig, dass die Politikerinnen und Politiker sich den Tatsachen und den jüngsten, vernichtenden Zahlen stellen.
Rund 39’000 junge Schweizerinnen und Schweizer sind jährlich von der Wehrpflicht betroffen. Im Durchschnitt sind 61% militärdiensttauglich, nämlich rund 23’800. Von diesen 23’800 werden während der Rekrutenschule rund 1’500 aus medizinischen oder anderen Gründen aus dem Militärdienst entlassen. Einige kehren – wenn auch zu einem relativ kleinen Anteil – zu einem späteren Zeitpunkt zurück in den Militärdienst. Des Weiteren verlassen vor oder während der Rekrutenschule rund 2’950 junge Männer die Reihen der Armee, um Zivildienst zu leisten. Dies bedeutet, dass nach der Rekrutenschule rund 19’350 ausgebildete Soldaten für die WK-Formationen zur Alimentierung des Armeebestandes verfügbar sind. Damit aber nicht genug: Die Armee verliert noch einmal jährlich 2’950 Soldaten, die nach dem Absolvieren der Rekrutenschule und während der Wiederholungskurse ein Gesuch um Dienstleistung im Zivildienst bewilligt bekommen. Das heisst, es bleiben unterm Strich jährlich 16’400 Angehörige der Armee, um deren Bestände zu alimentieren. Die Armee braucht aber jährlich 18’000, um diese zu halten. Anders ausgedrückt fehlen der Armee, unter anderem aufgrund der Abgänge zum Zivildienst, jährlich 1’600 Soldaten oder anders ausgedrückt zwei ganze Bataillone! Damit sind, entgegen dem, was der Bundesrat über die Bestandessicherung der Armee mit der WEA verspricht, die Bestände der Armee mittelfristig nicht gewährleistet!
Die Armee wird nie gleich attraktiv sein wie der Zivildienst, weil die Armee von ihren Angehörigen anderes und entbehrungsreicheres fordert. Es ist ungleich schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich, einem jungen Mann zu erklären, warum er in der Nacht bei Regen 30 Kilometer marschieren und diszipliniert die ganze Woche von Sonntag Abend bis Samstag Vormittag in der Kaserne sein muss, wenn auf der anderen Seite der Zivildienstleistende bei einem geregelten 8-Stunden-Arbeitstag jeden Abend nach Hause zurückkehren, am Abend und an den ganzen Wochenenden seinen gewohnten Freizeitbeschäftigungen nachgehen, seine Freunde treffen sowie zivile Ausbildungen und Schulungen besuchen kann. Das ist aber nicht die Schuld der Zivildienstleistenden, sondern das Resultat der Fehlentwicklungen in der Handhabe der Zivildienstgesuche.
Die Wehrpflicht wurde in die Verfassung aufgenommen, um die Sicherheit für unser Land und die Bevölkerung zu garantieren. Wenn Dienstpflichtige nun immer mehr für andere Zwecke als für die Sicherheit missbraucht werden, müssen wir einen Marschhalt einlegen und den Zweck der Wehrpflicht offen neu diskutieren.
Die SOG fordert darum von Bundesrat und Parlament eine Anpassung des Zivildienstes mit wenigen, einfachen und konkreten Massnahmen, um den Zivildienst wieder so zu situieren, wie er einst angedacht und in der Verfassung festgehalten wurde und wie es im Artikel 1 des Bundesgesetzes über den zivilen Ersatzdienst geschrieben steht: «Militärdienstpflichtige, die den Militärdienst mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können, leisten auf Gesuch hin einen länger dauernden zivilen Ersatzdienst (Zivildienst) nach diesem Gesetz.»
Diese Massnahmen könnten beispielsweise sein:
- Zugang zum Zivildienst grundsätzlich nur vor dem Start des Militärdienstes;
- Keine Anrechnung geleisteter Militärdiensttage zur Zivildienstleistung bei Einreichen eines Gesuchs zum Zivildienst während oder nach der Rekrutenschule;
- Einschränkung der freien Wahl der Zivildienstleistung;
- Aufgebot und Kasernierung der Zivildienstleistenden (gleiche Entbehrungen wie der Militärdienst);
- Wiedereinführung der Gewissensprüfung;
- Integration des Zivildienstes in den Zivilschutz.
Wenn nichts unternommen wird, wird die Armee langsam aber sicher ausbluten und sowohl qualitativ wie auch quantitativ die wichtigste Ressource verlieren, nämlich die dienstleistenden Männer und Frauen.
Spät kommt sie, diese Reaktion der SOG! Die Armee schafft sich selbst ab, sie kann nicht einmal mehr ihren verkleinerten Sollbestand alimentieren. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!
Es wäre längst die Aufgabe der SOG gewesen, Gegensteuer zu geben. Die allgemeine Wehrpflicht ist kein Wunschkonzert! Die vorgeschlagenen Massnahmen sind grundsätzlich richtig, doch leider ist der Schaden bereits angerichtet, die Allgemeine Wehrpflicht ist längst zur Farce geworden. Unglaublich, aber wahr!