Der Krieg in der Ostukraine hilft bei der Debatte um die Weiterentwicklung der Armee (WEA), denn was uns dort als moderne Kriegsform vorgeführt wird, macht deutlich, dass die WEA in ihren Grundzügen in die richtige Richtung geht. Der Ständerat hat dies erkannt und die richtigen Anpassungen vorgenommen. Die aus dem Nationalrat angerissene Debatte um die Kopfstruktur, genauer um die Funktion des Chefs der Armee, ist aber politisch ideologisiert, auf die Person zielend unfair und in der Sache alles andere als lösungsorientiert.
Beitrag von Oberst Thomas Hugentobler, Ressortleiter Sicherheitspolitik, erschienen in der ASMZ 05/2015
Der Konflikt um die Krim ihre völkerrechtswidrige Annexion sowie der Krieg in der Ostukraine führen uns sehr deutlich vor Augen, dass die Verschiebung von Grenzen mit Mitteln der militärischen Gewalt auch in Europa nicht der Vergangenheit angehört. Dabei ist nicht neu oder überraschend, dass so etwas passiert, sondern wann und wie es passiert. Bei aller Tragik für die betroffenen Menschen ist der Zeitpunkt für die Diskussion um die Weiterentwicklung der Armee in der Schweiz ein Glücksfall. Die Form der Bedrohung ist offensichtlich und jeder Bürgerin und jedem Bürger wird über TV, youtube und andere Medien täglich vor Augen geführt wie Krieg heute stattfindet. Der Krieg in der Ostukraine zeigt auch schonungslos auf, dass eine schwache, mit unfähiger Führung versehene, nicht modern ausgerüstete und kaum trainierte Armee mengenmässig unterlegenen, aber gut ausgerüsteten, erfahrenen und gut geführten Kräften nicht gewachsen ist.
Der Ständerat scheint die Lektion gelernt und seine Hausaufgaben seriös gemacht zu haben. Nur eine Handvoll Mitglieder der kleinen Kammer scheint unbelehrbar. Es wäre schön, wenn auch der Nationalrat dem Beispiel des Ständerates folgen würde und damit die seit Jahren anhaltende Unsachlichkeit in der Debatte um die Weiterentwicklung unserer Armee beenden und der Armeeführung wieder sichere Vorgaben und Rahmenbedingungen geben würde.
Politischer Aktionismus
Leider ist es noch nicht ganz so weit. Die Debatte um die Kopfstruktur – genauer um die Funktion des Chefs der Armee – ist ein Relikt aus der untersten Schublade des politischen Aktionismus. Ausgerechnet jener Offizier und Sicherheitspolitiker, welcher schon in der Debatte um den Gripen eine undurchsichtige Rolle gespielt hat, profiliert sich wieder als Experte: zur falschen Zeit, mit dem falschen Thema und am falschen Ort. Jeder Unternehmer weiss, dass die Strukturen der Strategie folgen müssen und nicht umgekehrt. Militärisch ist es so, dass wenn der Auftrag und die Mittel klar sind, die Struktur ein Ergebnis der Entschlussfassung ist. Eines ist jedoch von vornherein klar: es braucht immer einen Chef, der die Verantwortung für die Auftragserfüllung trägt und im Militär ist dies der Oberbefehlshaber oder bei uns in Friedenszeiten der Chef der Armee!
Es wäre viel hilfreicher die Debatte um die Kopfstruktur in einem anderen Thema zu führen. Die modernen Konflikte offenbaren, dass die Bedrohung in hybrider Form auftreten und eine Eskalation an einem kaum vorhersehbaren Ort überraschend einsetzen kann. Entsprechend sind zu starre, auf einzelne Bedrohungsformen ausgerichtete Kräfte – egal ob sie zentral oder dezentral geführt werden – kaum die beste Antwort. Auch die Namensgebung (Infanterie-, Panzer- oder Mechanisierte Brigade bzw. Region oder Division) ist nicht sehr zentral, sie kann jedoch zu falschen Bildern oder Vorstellungen führen. Wichtig ist einzig die Frage, über welche Fähigkeiten eine Truppe verfügen muss, die unser Land, die Bevölkerung und deren Lebensgrundlagen im äussersten Fall jederzeit an jedem Ort verteidigen können muss. Vor dem Hintergrund der uns vorgeführten hybriden Bedrohung ist die Antwort im ersten Moment einfach: jeder Grosse (Kampf-)Verband muss befähigt sein in allen Operationstypen mit allen Mitteln den Kampf der verbundenen Waffen zu führen.
Kopfstruktur verbesserungsfähig
In der aktuell vorgesehenen Kopfstruktur sind die Voraussetzungen dazu nicht vorhanden; zum Beispiel fehlt den Mechanisierten Brigaden dazu die Infanterie oder den Territorialdivisionen die Feuerunterstützung und das Instrument im Stab zu deren Führung. Es wird argumentiert, dass es zu wenige Ressourcen gäbe, damit alle alles haben könnten. Es müssten auch nicht alle alles immer organisch eingeteilt haben; dies wäre im effektiven Einsatz auch nicht so, weil eben ein Grosser Verband entsprechend seines Auftrags, ausgerichtet auf die aktuell herrschende Bedrohung, mit den notwenigen Mittel ausgestattet wird. Dies wird auch in allen Übungen so trainiert.
Wenn die Politik schon über Kopfstrukturen diskutieren will, wäre es intelligenter solche Themen auf die Traktandenliste zu nehmen. Eine mögliche Alternative zur Diskussion wäre, dass es nur noch eine Anzahl Brigaden gäbe (irgendwo zwischen 8 und 12), welche alle gleich benannt sind (z Bsp. Einsatzverband, anstelle von Mechanisierter Brigade oder Territorialdivision) und mit identisch ausgestatteten Führungsinstrumenten bestückt sind. Diese Einsatzverbände hätten Truppenkörper „im Sinne eines Heimathafens“ unterstellt, würden aber jedes Jahr ein operatives Trainingsthema und die dazu notwendigen Truppenkörper, Einheiten und Spezialisten zugeteilt erhalten, mit denen sie die Wiederholungskurse absolvieren und jene „eigenen“ Truppen abgeben, welche sie für die Erfüllung dieses (Jahres-)Auftrages nicht brauchen. Mit diesem Rotationsprinzip sind nach einigen Jahren alle Grossen Verbände in allen Operationstypen befähigt, um bei Bedarf eingesetzt werden zu können. Dieses Konzept würde sich als Variante grundsätzlich auch mit der aktuellen WEA-Kopfstruktur realisieren lassen, nur müssten dann die Stäbe der Mechanisierten Brigaden und der Territorialdivisionen identisch alimentiert werden.
In diesem Sinne ist von unserem Parlament (der grossen Kammer) eine Qualitätssteigerung in der Debatte um die Weiterentwicklung der Armee zu erwarten. Gerade im Wahljahr ist dies für alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier eine Chance, sich über eine intelligente Diskussion zur Sicherheitspolitik zu empfehlen. Die Offiziersgesellschaften werden bei ihren Wahlempfehlungen darauf Bezug nehmen und lösungsorientierte Beiträge entsprechend würdigen.
Ob die Annexion der Krim für die Schweiz und die Weiterentwicklung der Armee ein Glücksfall ist, muss bezweifelt werden. Politik und VBS sind offenbar nicht lernfähig! Mit dem Primat der Politik und ohne genügende Ressourcen (Eckwerte 100´000 Ada´s und 5 Milliarden Franken Budget) ist für die Armee kein Blumentopf und keine Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Alle Armeen rüsten auf, die Schweiz rüstet ab und halbiert mit der WEA die Bestände nochmals. Nur die grösten Kälber wählen ihre Metzger selber!
Natürlich steht die Kopfstruktur nicht im Vordergrund, das VBS will diese aber mit der Einführung einer weiteren Hierarchiestufe verschlimmbessern! „Structure follows Strategy“, das stimmt, aber da müsste ja die Strategie vorerst klar festgelegt sein, und dies ist aufgrund der geopolitischen Lage eben nicht der Fall!
Der Bundesrat zählt sieben Mitglieder, in der Schweiz gibt es keinen Diktator oder Staatspräsidenten der übermächtig ist, die Konkordanz läuft nach anderen Gesichtspunkten, nur im VBS wurde vor wenigen Jahren mit Christoph Keckeis der „Führer“ in der Armee eingeführt. Es wäre schön, wenn man den Chef für die Auftragserfüllung verantwortlichen machen könnte. Im VBS wedelt der Schwanz mit dem Hund, es fehlt die klare Auftragserfüllung gemäss Bundesverfassung. Die Verfassungsmässigkeit der Armee ist nicht mehr gewährleistet
und alle im VBS sind glücklich und rühmen sich ihrer wegweisenden Strategie!
Die Einsatzfähigkeit der Armee ist nicht mehr gewährleistet.
Beda Düggelin
lic. oec. HSG
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8006 Zürich